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Privatsphäre kostet extra?

Beitrag von Bernd Schreiner, erschienen auf der Bundes-Website.

Privatsphäre kostet extra schreibt Johannes Boie in der Süddeutschen. Er beschreibt, wie z.B. der US-Netzbetreiber AT&T alle Nutzerdaten speichert und für seine Zwecke wirtschaftlich nutzt. Will ein Kunde diese Daten löschen lassen, muss er das bezahlen. So wird Datenschutz zum Geschäftsmodell. In diesem Zusammenhang ist die Bemerkung angebracht, dass das nicht »nur in Amerika« so ist, sondern dass wir auch hier in Deutschland schon fast auf diesem bedauerlichen, nein: erschreckenden Niveau angekommen sind.

Traurige Vorreiter sind anscheinend die Krankenkassen und die Autoversicherer. Sie erheben bereits Daten und erste »Geschäftsmodelle« lassen erahnen, wohin die Reise geht:

Hast du ein Abo deines Fitnesscenters und gehst regelmäßig dort trainieren, und lässt das am besten mit einer »smarten« Uhr oder mit deinem Hemd kontrollieren? Dann gibt’s Rabatt bei deiner Krankenkasse. Bei deiner Autoversicherung kannst du in Zukunft sparen, wenn du dein Fahrverhalten aufzeichnen lässt und immer nur sanft beschleunigst, genauso sanft bremst und dich natürlich überall an die Geschwindigskeitbegrenzung hältst. »Ich will Spaß, ich geb’ Gas«, kostet richtig – in Form einer höheren Prämie. Da mag sich manch einer nun denken, das sei schon in Ordnung. Diese Verkehrsraudis bauen ja auch mehr Unfälle – also geschieht es ihnen doch Recht, wenn sie mehr zahlen müssen. Das stimmt zum Teil ja auch – aber wir öffnen damit auch eine Tür, hinter der vielfältige Gefahren lauern.

Bei den privaten Krankenkassen sind wir es ja schon gewohnt, dass nach den Rauchgewohnheiten gefragt wird, nach Vorerkrankungen und ähnlichem. Dort werden schon lange Junge gegen Alte ausgespielt und Gesunde gegen Kranke – ob selbstverschuldet oder nicht, spielt da kaum eine Rolle. So entsolidarisieren wir die Gesellschaft und teilen sie. Das ist sehr praktisch, denn nun beharken sich die Lager untereinander und bilden keine geschlossene Front mehr gegen die Krankenkasse oder den Autoversicherer.

Die Folgen sind absehbar: Finanziell Schwache werden sich Datenschutz schlicht nicht mehr leisten können. Was mit einer vorgeblichen »Vergünstigung« begann, endet dann ganz banal. Wer arm ist, muss seine Fahrweise von der Versicherung protokollieren zu lassen. Wer arm ist, muss die »Smartwatch« tragen – und letzten Endes nach dem Abendbrot noch 1000 Schritte mehr gehen, nur damit die Versicherung nicht steigt.

Krankenkassen und Autoversicherer – das sind nur zwei Beispiele aus der »schönen neuen Welt« einer Zukunft, die heute bereits angebrochen ist. Aber diese Art von »Geschäft« droht in alle Lebensbereiche einzudringen – auch in die »eigenen vier Wände«. Die – von unserem Grundgesetz geschützte – Privatsphäre wird es bald nicht mehr so geben, wie wir sie kennen, wenn uns keine grundsätzliche Weichenstellung gelingt.

Unser Surfverhalten wird protokoliert und soll als Stehaufmännchen »Vorratsdatenspeicherung« wieder gespeichert werden – unter dem Vorwand einer Terrorismusabwehr, die sie nach allen Erfahrungen gar nicht leistet. Unsere skype-Telefonate werden wortgetreu gespeichert. Unsere Einkäufe im Onlinestore sowieso. Unser Bücherregal und die Videosammlung legen wir freiwillig in »die Cloud« – genauso freiwillig, wie unsere Regierungen unsere Geldbewegungen schwuppdiwupp über den Atlantik schicken. Und zukünftig werden Smartmeter genau wissen, welche Geräte in unserem Haushalt wann benutzt werden.

Natürlich werden die Hersteller unserer schon bald elektrisch betrieben Smartcars nicht nur wissen, wieviel Ladestrom wir wo gezogen haben. Über die Telematik der Smartcitys, bei der sich jede Ampel und auch die Verkehrsschilder mit unserem Fahrzeug unterhalten, werden sie auch genau zu sehen, wo wir langfahren – und wo wir einen kurzen Stopp einlegen, um das böse Fastfood zu essen. Ich will hier gar nicht das Fass aufmachen, wer da noch mithören kann, daher an dieser Stelle nur so viel: Wir sind keine drei Schritte davon entfernt, dass eine Meldung dazu an unsere Krankenkasse rausgeht, noch bevor wir in unseren Burger gebissen haben – und unsere günstige Tarifklasse ist dahin.

In dieser Gesellschaft, wo die Schere im Kopf längst zu einer Panzersperre mutiert sein wird, gibt es keine Individualität mehr, keine Privatheit und damit auch kein freies Leben. Hinter dem Satz: »Ja, die Raucher sollen doch mehr bezahlen, sie könnten ja auch aufhören« lauert nicht weniger als eine totalitäre Überwachungsgesellschaft. Individualität wird austrocknen – und nicht weiter besondere Antworten auf besondere Entwicklungen geben. Dann gibt es sie: Die eine Vorstellung von »richtigen« Leben. Endlich geschafft: Alle sind gleich.

Auch wenn viele es noch nicht wahrnehmen: Wir sind schon fast da – in der Überwachungsgesellschaft, in der Welt der vorauseilenden Gehorsams, die sich heute noch hinter Kundenkarten, Serviceverträgen, Notrufsystemen, IP-Adressen und Browser-IDs versteckt – und hinter den netten Apps, die in unsere Lebensrealitäten eindringen. Und speichert diese Webseite vielleicht gerade ein »Cookie« auf deinem Rechner, um dich beim nächsten Besuch wieder zu erkennen? (Nein, das tut sie nicht. Aber nur, weil du auf einer Seite der Piratenpartei bist.)

Wollen wir in einer solchen Gesellschaft leben? Wollen wir aus einem diffusen Sicherheitsgefühl heraus, aus Bequemlichkeit oder als Erfüllungsgehilfen zweifelhafter »Geschäftsmodelle« unserer Privatsphäre zu verschenken – und damit unsere Menschenwürde? Oder wollen wir die Zukunft gestalten, die Chancen nutzen und den Risiken entschieden entgegen treten? Es liegt in unserer Hand – wir müssen es nur tun.

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